Die
Gründungsurkundeder
Stadt Bleckede
28. August
Vorbemerkung:
Man kann mittelalterliche Schriftstücke nur dann richtig verstehen und auslegen, wenn man gewisse Traditionen kennt. Ein besonders heikeles Kapitel sind die mittelalterlichen Urkunden, lateinisch " Charta "genannt. Eine Urkunde ist eine rechtskräftige Aufzeichnung, von einer souveränen Persönlichkeit aufgestellt und in bestimmten Formen gefaßt. Fast alle Urkunden sind in der offiziellen Sprache des Mittelleiters, also in Latein, abgefaßt. Da diese Sprache meist nur von gelehrten Priestern beherrscht wurde, sind auch die Urkunden von solchen Schreibkräften verfaßt. Damit ihnen diese Arbeit jedoch etwas erleichtert wurde, hat man sich bei der Aufstellung an bestimmte Formeln gehalten, die immer wieder von älteren Urkunden abgeschrieben wurden.
Besonders formelhaft sind Einleitung und Schluß der Urkunde, wie ja auch noch heute im Schriftverkehr bei den Behörden, aber auch in der Wirtschaft gewisse Anrede-, Einleitung und Schlußformeln bei Briefen üblich sind. ' Nur legte man im Mittelalter auf diese Formeln viel größeren Wert als heute. Was können wir auch bei der Betrachtung der
aus dem Jahre
1209, ausgestellt von Wilhelm von Lüneburg, wiedererkennen. Überrascht werden wir dann feststelle, daß der Kern der Aussage auf wenige Sätze zusammengedrängt werden kann. Während daß Original der Urkunde, im Hauptstaatsarchiv Hannover unter der Bezeichnung "Celle Or, 9, Schr. IX, Caps. 44, Nr. 3"registriert, ohne Unterbrechung durch Sätze und Absätze geschrieben ist, wie es damals, zur Erzeugung einesschönen Schriftbildes, üblich war, ist in der folgenden Übersetzung von diesem Prinzip abgegangen werden. Im "
Bleckeder Heimatbuch" von
Ute Schötteldreyerist der übersetzte Wortlaut so wiedergegeben, wie er im Original aussieht, und manche Leser werden diesen Text sicher nur schwer verstanden haben. Deshalb wird das Schriftstück im folgenden so aufgeteilt, wie es die mittelalterlichen Schreiber - zumindest in Gedanken - getan haben, und wir haben den einzelnen Abschnitten jene lateinischen Bezeichnungen beigegeben (natürlich mit entsprechender Übersetzung bzw. Erklärung), wie sie sich bei den Diplomatikern -so nennt man die Wissenschaftler, die sich mit Form und Inhalt alter Urkunden befassen - herausgebildet haben.
I. Protokoll ( Einleitung )
1. Invocatio (Anrufung) Im Namen der Heiligen und
ungeteilten Dreifaltigkeit!
2. Intitulation (Angabe des Namen des Titels) Wilhelm
von Lüneburg ( Willelmus de Luneborch )....
3. Inscriptio (Name des Empfängers ... an alle und
für alle Ewigkeit
II. Kontext ( Hauptteil )
1. Arenge (unverbindliche Einleitungsformel )
Da es angebracht und vorteilhaft ist, Unsere mit
Recht und Klugheit erlassene Verordnungen und
Vergünstigungen schriftlich niederzulegen und
somit dem Vergessen zu bewahren,..........
2. Promulgation ( Willenserklärung ... verkündigen
Wir hiermit allen den Christen und deren Nachkommen,
daß wir beschlossen haben
3. Dispositio (Anordnung, der eig. Rechtsakt)
a) auf unserem Grund und Boden eine neue Stadt mit
Namen
(civitatern novem nominate Löwenstat)
zu gründen (zu erbauen, zu errichten das lat. Wort –
aedificare - kann drei Bedeutungen tragen) ....
b)...indem. wir dieser Stadt jenes Freiheitsrecht erteilen,
wie es freie Städte zu tragen pflegen und wie es auch
Bardowieck in seiner Blütezeit innegehabt hat, nämlich
jenes Recht, welch volkstümlich Weichbild (oder:
Weichbildrecht genannt wird
(quod in vulgari dicitur wigbelede).....
c) wobei die Grenzen dieser neuen Stadt folgendermaßen
festgelegt werden Osten - bis über die Elbe, bis zu
den Schalksbergen, im Norden bis zur Vitico und im
Süden bis Wendisch-
.
d) Den Bürgern dieser Stadt übertragen wir aus unserem Besitz folgende Rechte; ein Drittel des Baumbestandes in Werdeburg für die Schweinemast, die Weideberechtigung auf den Ländereien jenseits der Elbe, und zwar mit den Wenden. Unsere Rechte im Barskamper Stiepelser Wald, die Viehweide im Gebiet
- Schlakenberge - Emgernstegen - Kerschenworde -Vitiko (allerdings außer den, die unser Eigentum sind) die sogenannten Teidau - Wies, deren Rechte wir hiermit abgeben.
4. Correboratio (Angabe der Beglaubigungsmittel und der
Zeugen)Diese Verordnung haben Wir erlassen unter der
Zustimmung Unserer Gemahlin Helena, Unseres Sohnes Otto
und des verehrenswürdigen Bischofs Verrden, Iso, sowie
mit dem Wissen Unserer Lehnsleute: Graf Heinrich von
Dannenberg,dessen Sohn Wolrad, Graf Bernhard von Wölpe,
den Gafen Wener, Olrieh und Heinrich Otto von Lüchow,
des Walter von Boltersen sowie des Friedrich von
Osterwalde. Anwesend waren ferner meine Dienstleute
Anton der Truchseß, Heinrich das Kind, Lüder der Kämmerer,
Segeband, Mangold, Wille, Bernhard der Tänzer, Johann von
Dolmen, die Brüder Paridern und Friedrich, die Brüder
Dieter und Helmerich Komene und mehrere andere.
5. Sanetio (feierliches Gelöbnis) Und damit die obengenannten
Rechte von keinem Unserer Nachfolger angetastet werden und
damit Unserer angenannten Stadt die gegebenen Rechte voll
und unversehrt erhalten bleiben,
III. Eschstokoll (Schlußteil)
1. Subscriptio (feierliches Gelöbnis)... haben wir diese
Urkunde mit dem Abdruck unseres Siegels versehen.
2. Datum (Orts- und Zeitangabe)
Dies ist geschehen im
. Jahr der Fleischwerdung des
Herrn, in der 12. Indiktion, unter dem Papst Innoxenx,
Vorsitzender der Heiligsten Röhmischen Kirche, während
der Regierung des Allergnädigsten Römischen Königs Otto,
des stets Erhabenen, an den 5. Kalender des Septembers.
Anmerkungen:
1. Eine Unterschrift trägt die Urkunde nicht. Möglicherweise
war Wilhelm gar nicht imstande zu schreiben.
Jedoch ist das in der Subscripto erwähnte Siegel erhalten,
Es ist an dem Pergament angeheftet. Die Urkunde befindet
sich bekanntlich im Nieders. Hauptstaatsarchiv in Hannover.
Sie ist leider in einem so schlechten Zustand, da8 das
Original nicht ausgeliehen werden kann. Der Schaden ist
wahrscheinlich durch die Auslagerung in einem Salzbergwerk
während des II. Weltkrieges entstanden.
2. Die Datumsangabe könnte irritieren. Dazu muß man die
Berechnungsweise kennen. Man zählte die Monatstage teils
nach vorne vom 1. Montagstage an, und zwar bis zum 14.des
Monats, teils nach rückwärts bis zum 16., Der 15. hatte
den Namen "Jden". Rückwärts vom l. September gezählt ergibt
sich: 1.9. (1. Tag), 31.8, (2),Tag.), 30.8. (3), 29. August
(4), 28.August (5.). Die 5. Kalenden fallen also auf den 28.
August. Dies ist also der Gründungstag Bleckedes.
Zur Stadtgründung scheint Wilhelm selbst die Intiative ergriffen zu haben. Diese Tatsache bestätigt die These, die in dem Aufsatz "Zwei Löwenstädte," in der
anläß1ich des 775. Staldtjubiläums
1984aufgestellt wurden: Daß nämlich die
GründungsurkundeWilhelms von Lüneburg ein einsamer Entschluß des Herrschers war, der, mit allen Mitteln versuchte, die alte Pracht und Herrlichkeit, die unter seinem Vater, Herzog Heinrich dem Löwen herrschte,wiederherzustellen,
ohne jedoch dabei zu viel riskieren zu müssen. Das Echo auf
diese Gründungsinitiative seitens der Bleckeder scheint gefehlt zu haben. Außer in dieser Urkunde taucht der Name "
Löwenstadt" überhaupt nicht wieder auf, schon in dem nächsten erhaltenen Schriftstück, von 1224 heißt es wieder, wie schon vorher;
Bleekede...