2006
Gleich hinter dem Friedhof des hochgelegegenen kleinen Ortes Breetze beginnt der Wald. In sanfter Steigung führt uns hier der Weg hinauf zur höchsten Erhebung der Breetzer Berge, dem Telegraphenberg (92 m über dem Meeresspiegel). In völliger Einsamkeit liegt dort oben ein Denkmal, dessen Bestimmung sich nicht sofort zu erkennen gibt.
Auf einem Sockel von kleinen Findlingen erhebt sich ein fast mannshoher Granitobelisk. Die dem vom Friedhof kommenden Besucher zugewandte Seite trägt lediglich die Jahreszahl 1847 und darunter die Wolfsangel. Auch die Gegenseite ist sparsam beschriftet. Sie trägt nicht mehr als die Buchstaben E A R (= Ernst August Rex) und darüber eine Krone.Was ist hier geschehen? War etwa König Ernst August von Hannover, der von 1837 bis 1851 regierte, hier oben - er, den das Denkmal mit der Inschrift "Dem Landesvater sein treues Volk" vor dem Hauptbahnhof in Hannover hoch zu Roß in Husarenuniform zeigt.
Hat er sich von hier aus seine nördlichen Landesteile zeigen lassen: die Elblandschaft stromab bis Hohnstorf und Lauenburg und stromauf bis Hitzacker, drüben am anderen Ufer das Amt Neuhaus/Elbe und schließlich landeinwärts die Dörfer und Gehöfte, die Felder und Waldungen bis zu den Türmen Lüneburgs am fernen Horizont? Wirklich, der Blick der sich ohne den jetzigen Baumbestand, der alles verdeckt, von hier oben öffnen müßte, sollte eines Königs würdig sein! Aber nichts dergleichen ist geschehen. Niemals ist König Ernst August auf der Höhe des Telegraphenberges gewesen; niemals hat sich an den Breetzern das alte schöne Lied erfüllt "Und da sehen wir von weitem Ernst August reiten." Ernst August ist zwar bei den Manövern des 10. deutschen Bundesarmeekorps im Lüneburgischen gewesen, aber die fanden nicht um Breetze , sondern bei Deutsch Evern statt - und nicht 1847, sondern bereits 1843.
Das Denkmal hier oben ist aus einem weit prosaischeren Anlaß entstanden. Es ist nichts weiter als die Dokumentation einer Inbesitznahme und läßt ein Stück Dorfgeschichte von Breetze lebendig werden. 1838 war hier die Verkopplung durchgeführt worden, und nun gingen die Hofbesitzer daran, die auf ihren Höfen seit alters lastenden Verpflichtungen zu löschen. Das geschah durch die einmalige Zahlung des Fünfundzwanzigfachen der jeweiligen Jahresabgabe. Um die Mittel dafür zu erhalten, verkauften die Bauern ihre Heideflächen in den Breetzer Bergen an den königlichen Domänenfiskus. Die staatliche Forstverwaltung begann alsbald mit der Aufforstung des Gebietes. Gleichzeitig erwarb der Fiskus drei Höfe in Bargmoor und vereinigte sie zu einer Försterei. Das geschah in diesem Jahr 1847. Vierzig Jahre davor hatte die Höhe hier noch den sehr viel schlichteren Namen "Köttelberg" geführt - nach den Exkrementen des Weideviehs, das die Bauern von Breetze in dem damaligen Wildwuchs dieses Hügelreviers grasen ließen.
Zum Telegraphenberg ist unsere Erhebung durch Napoleon ! avanciert. Während seines russischen Feldzuges war hier eine Station der optischen Telegraphenlinie, die der Kaiser - mit Abzweigungen rückwärts bis Paris hatte anlegen lassen. Ganz Frankreich war damals von einem Netz aus Flügeltelegraphen (1791 von Claude Chappe erfunden) überzogen. Mit ihren drei beweglichen Armen ließen sich 196 verschiedene Buchstaben, Ziffern und Zeichen übermitteln, die von Station zu Station, klares Wetter vorausgesetzt, mit Fernrohren abgelesen und sofort weitergegeben wurden. Die Übermittlung der Nachrichten soll mit unglaublicher Schnelligkeit vor sich gegangen sein.
Auf dem Telegraphenberg von Breetze findet sich heute keine Spur der damaligen Station mehr. Sie war auch wohl nicht als dauerhafte Einrichtung gebaut worden. Dagegen finden sich neben dem Denkmal die vier schweren Fundamentsteine eines 16 Meter hohen Feuerwachtturmes, der hier nach dem zweiten Weltkrieg errichtet wurde und vor kurzem wegen Baufälligkeit abgerissen werden mußte. Von da oben soll man bei wolkenlosem Himmel mit dem Fernrohr bis zu den 60 Kilometer entfernten Toren Hamburgs geblickt haben. Das schöne Denkmal hat sich die Forstverwaltung hier oben auf dem Wald gesetzt, der seit hundert Jahren hügelauf hügelab sich
hinzieht.
Quellenagabe für den Text: Erich Hessing in "Denkmäler, Menschen und Geschichten im Landkreis Lüneburg, Herausgeber Landkreis Lüneburg, Dezember 1981, erschienen im Stern-Verlag, Henning v. Stern, Lüneburg.